Ermittlungen und Prozesse

Dem Lagerkommandanten Franz Stuschka wurde Ende 1949 der Prozess vor dem Wiener Volksgericht gemacht. Er kam trotz der unzähligen Misshandlungen mit einer relativ geringen Strafe davon. Zwei Jahre zuvor musste sich der ehemalige Häftling und Kapo Paul Raphaelson vor einem tschechoslowakischen Gericht verantworten. Die Bedingungen und die Strafe waren ungleich härter: Er wurde zum Tode verurteilt.

Prozesse in Prag und Wien

Paul Raphaelson kehrte nach der Befreiung in seine Heimatstadt Mönchengladbach zurück, gründete dort eine Betreuungsstelle für ehemalige KZ-Häftlinge und brachte sich aktiv in die Jüdische Gemeinde ein. Als seine ehemaligen Mitgefangenen davon hörten, wandten sie sich an die britischen Besatzungsbehörden: Raphaelson sollte für seine Gewalttaten in Wulkow zur Rechenschaft gezogen werden. Dass er in der Folge von einem tschechoslowakischen Gericht zum Tode verurteilt werden würde, damit hatten sie vermutlich nicht gerechnet. Auch im Fall von Franz Stuschka wirkten Überlebende maßgeblich an der Strafverfolgung mit.

Albert Jungmann, mittlerweile bei der Wiener Kriminalpolizei tätig, verhörte ihn und nahm zahlreiche Zeugenaussagen seiner ehemaligen Mitgefangenen auf. Am 15. Dezember 1949 begann die Hauptverhandlung vor dem Wiener Volksgericht. Zwei Tage später erging der Urteilsspruch: Sieben Jahre schwere Kerkerhaft wegen Hochverrats, Misshandlungen und Verletzung der Menschenwürde. Die von ihm verantworteten Deportationen aus Wulkow in den Tod waren nicht Gegenstand der Verhandlung. Auch der Lagercharakter und seine Kommandantentätigkeit wurden vom Richter nicht anerkannt. Bereits Anfang 1951 war Stuschka unter Anrechnung der Untersuchungshaft und zunächst auf Bewährung wieder in Freiheit.

„Wollte man auf dem Standpunkt stehen, dass jede Baustelle, auf der KZ-Häftlinge verwendet wurden und die auch auf der Baustelle schliefen, ein eigenes KZ darstellten, so käme man auf eine Unzahl praktisch überhaupt nicht mehr feststellbarer KZ.“

Aus dem Schuldspruch des Wiener Verfahrens, 1949

„Stell Dir den Hohn vor“ – Schuldabwehr und Zynismus

Während die Wulkower Überlebenden vor Gericht von zahlreichen Gewalttaten Stuschkas berichteten, wies der Angeklagte jede Schuld von sich. Im Gegenteil: Er behauptete zynisch, die Häftlinge seien „faul“ und „frech“ gewesen. Seine Verteidigungsstrategie war es außerdem, zu behaupten, dass Wulkow kein KZ und er folglich auch kein Kommandant, sondern lediglich Bauleiter gewesen sei. In einem Brief an den tatsächlichen Bauleiter, den ehemaligen Häftling Ervin Kosiner in Prag, erbat er sich sogar ein positives „Führungszeugnis“. Als ihn 1985 ein Fernsehteam des WDR in Wien aufspürte, sah er sich als das „wahre Opfer“: Eichmann und seine Vorgesetzten wären auf ihm „rumgetrampelt“, weil er zu „weich“ gewesen sei.

„Stell Dir den Hohn vor – in der gleichen Zeit hält man mir bei der Vernehmung vor, ich hätte Häftlinge unmenschlich zusammengedrängt untergebracht und schlecht verpflegt! Die haben schon zum Frühstück viel mehr zu essen gehabt als ich den ganzen Tag. Wie glücklich könnte ich sein, wenn ich heute die gleiche Behandlung hätte, als ich mich selbst den Häftlingen gegenüber benommen habe.“

Brief von Stuschka an eine Gisela, 1948

Spätere Ermittlungen: RSHA-Verfahren und weitere

Anfang 1963 gab es Kritik ausländischer Staatsanwaltschaften über die schleppende Strafverfolgung von NS-Verbrechen im Land Berlin. In der Folge wurde eine „Arbeitsgruppe RSHA“, bestehend aus bis zu 12 Staatsanwält:innen, gebildet. Sie ermittelten gegen ehemalige RSHA-Angehörige, die vom Schreibtisch aus Mordbefehle vorbereitet und verfasst hatten. Gegen Franz Stuschka und seinen Stellvertreter Richard Hartenberger wurde im Sachkomplex „Endlösung der Judenfrage“ ermittelt. Ihnen wurde die „Beteiligung an der Ermordung von Juden in Konzentrationslagern durch die Verhängung von Schutzhaft“ vorgeworfen. Die Beschuldigung bezog sich wieder nicht auf Wulkow, sondern auf die Tätigkeit beider im „Judenreferat“. Schutzhaftverhängungen konnten ihnen nicht nachgewiesen werden.

In den RSHA-Verfahren wurde außerdem gegen zahlreiche Mitarbeiter:innen der Ausweichdienststelle ermittelt. Den Schreibtischtäter:innen wurde Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Nach einer Strafrechtsnovelle 1968 hätten ihnen niedrige Beweggründe oder grausame und heimtückische Tatausführung nachgewiesen werden müssen. Dies war nahezu unmöglich, und so wurden alle bis auf vier Verfahren eingestellt.

„Sichere Anhaltspunkte dafür, dass die Bezeichnung ‚Rückkehr unerwünscht‘ nicht nur bedeutete, die Gefangenen sollten nicht wieder in das Lager Wulkow zurückgebracht werden, sondern darüber hinaus die Aufforderung oder die Empfehlung enthielt, sie zu töten, sind nicht vorhanden.“

Aus dem Abschlussvermerk vom 6. Februar 1979

1969 bekam die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen im Zuge von Ermittlungen bezüglich des KZ-Nebenlagers Trebnitz fälschlicherweise Aussagen zu Wulkow übersandt. Dies führte zu erneuten Ermittlungen gegen Stuschka. Diesmal waren die Deportationen aus Wulkow explizit Gegenstand der Ermittlungen. Zehn Jahre (!) später wurden sie eingestellt. Stuschka musste sich nie für die Deportationen aus Wulkow verantworten.

Simon Wiesenthal ordnet das Verhalten der Täter ein – in dem Film „Gesucht wird… Franz Stuschka“ 1985 von Paul Karalus
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