Organisierung der Wulkower

Viele der ehemaligen Häftlinge organisierten sich nach 1945 bis zu ihrem Lebensende in Form von Gruppentreffen, unterstützten sich gegenseitig und wirkten bei Täterverfolgung(en) und Gedenkaktivitäten mit. Dabei bezeichneten sie sich selbst als Wulkower. Obwohl alle ehemaligen Häftlinge bereits in anderen Lagern waren, hatte Wulkow als gemeinsamer Erfahrungsort eine besondere Wirkung.

Kontaktaufbau und Treffen der Wulkower

Einige der ehemaligen Häftlinge emigrierten nach der Befreiung, überwiegend in die USA und nach Israel. Andere blieben in ihren Herkunftsländern Deutschland und der Tschechoslowakei. Häufig entstand der erste Kontakt zwischen den Wulkowern (mit dieser Selbstbezeichnung sind alle ehemaligen Wulkower Häftlinge gemeint) innerhalb der Länder, in denen sie lebten. Später wurde der Austausch internationaler. Die Kommunikation funktionierte über persönliche Treffen, Briefwechsel, Telefonate und große Wiedersehenstreffen.

Es gab eine bedeutende Gruppe von ehemaligen Häftlingen in der Tschechoslowakei, die sehr bald nach dem Kriegsende entstand. Bereits 1947 initiierte Ervin Kosiner, damaliger Bauleiter in Wulkow, das erste, dokumentierte Treffen in Prag. Für Kosiner war das Wiedersehen von besonderer Bedeutung, da er Vorwürfe gegen ihn aus dem Weg räumen wollte. Aufgrund seiner Position in Wulkow stand Kosiner im Lager unter großem Druck und forderte viel Disziplin von Mithäftlingen, auch unter Androhung körperlicher Strafen. Einige ehemalige Häftlinge warfen ihm deshalb Machtmissbrauch vor. Ab den 1960er Jahren traf sich die tschechoslowakische Gruppe regelmäßig in Prag. In den 1980er und 1990er Jahren war die Gruppe an internationalen Treffen von Wulkowern beteiligt.

Auf deutscher Seite war es vor allem Klaus Scheurenberg in Westberlin, der internationale Kontakte und Treffen initiierte. Scheurenberg sammelte Namen und Adressen von ehemaligen Wulkowern, kontaktierte sie und pflegte beispielsweise einen intensiven und freundschaftlichen Briefwechsel mit dem in Israel lebenden Eli Lichtblau-Leskly.

„Ich könnte Dir noch stundenlang berichten, Du wirst denken, ich lebe immer noch in Wulkow. Das tue ich aber gar nicht, bin ein ‚Heutiger‘. Aber, was wir erlebt haben, kann man nicht so ohne weiteres abwaschen.“

Klaus Scheurenberg an Eli Lichtblau-Leskly, 5. November 1983

Einige Wulkower waren an der Reportage „Gesucht wird ... Franz Stuschka“ beteiligt. Ein Journalist und ein Fernsehteam des Westdeutschen Rundfunks wollten den ehemaligen Wulkower Lagerkommandanten Stuschka aufspüren, sie dokumentierten die Suche mit der Kamera. Dazu begleiteten sie unter anderem das Wiedersehen der Wulkower 1984 in Westberlin, führten Interviews mit einigen Wulkowern und folgten ihren Hinweisen. Das Fernsehteam fand Stuschka 1985 in Wien. Das von Klaus Scheurenberg organisierte Berliner Treffen war Teil einer größeren transnationalen Zusammenkunft unter dem Motto „40 Jahre nach Wulkow“. In Westberlin trafen sich zunächst überwiegend amerikanische und deutsche Wulkower und verbrachten dort auch Zeit beim Prominentenwirt und Wulkower Heini Holl. Gemeinsam reisten sie weiter in die Tschechoslowakei und trafen in Prag die tschechischen Wulkower. Zusammen besuchten sie Theresienstadt/Terezín.

Der Kontakt zwischen den Wulkowern in den USA entstand unter anderem über ein Wiedersehen ehemaliger Theresienstädter Häftlinge. Sehr aktiv waren Herbert Kolb und Henry Frank. 1997 organisierten sie ein Wiedersehen in Paramus, New Jersey. Hier war auch der in Schweden lebende Walter Grunwald anwesend. Dieser hatte über eine Suchanzeige in einer Zeitung, die ehemalige Verfolgte lasen, den Kontakt zu amerikanischen Wulkowern aufgebaut.

„Ich habe durch diese Treffen nicht nur alte Kameraden wiedergesehen, sondern auch neue Freunde gewonnen, was für mich so unendlich viel bedeutet“.

Walter Grunwald, 1990er Jahre

„Wir haben viel geredet und uns an Dinge erinnert. Unsere ganze Familie ist tot, also ist das hier wie unsere Familie.“

Fred Heiser, 1997

Zeitungsartikel über ein Wiedersehen der Wulkower in Berlin im Oktober 1986, B.Z.
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Gegenseitige Unterstützung in schwierigen Zeiten

Die überlebenden Wulkower Häftlinge hatten nach ihrer Befreiung viele gemeinsame Themen: der Verlust der Familie, die Frage nach dem Bleiben oder der Emigration, der Umgang mit Nachkriegs-Antisemitismus, Berufschancen und das Alleinsein. Josef Klenka, der die tschechischen Gruppentreffen dokumentierte, beschrieb 1997 die wichtige menschliche Unterstützung, welche sich die Wulkower gegenseitig gaben:

„Anfangs trafen wir uns einzeln, später in Gruppen. Außer Erinnerungen an die schwere Zeit im Lager wurden Erfahrungen und Informationen über verschiedene Möglichkeiten, die sich in der befreiten Republik anboten, ausgetauscht. Manche halfen einander, persönliche Probleme zu lösen, besonders die Alleingebliebenen moralisch zu unterstützen.“

Josef Klenka, 1997

Bei jedem Treffen gedachten sie außerdem derer, die nicht mehr an den Treffen teilnehmen konnten. Auch der Austausch über gegenwärtigen Antisemitismus und den Umgang damit beschäftigte die Wulkower. Sie setzten sich beispielsweise für die Einreise von Eli Lichtblau-Leskly in die ČSSR (Tschechoslowakei) ein, damit der in Israel lebende Wulkower am Wiedersehen teilnehmen konnte. Alle Bemühungen waren jedoch vergebens:

„Vorläufig kann dir heute nicht versprechen, dass ich nach Pilsen [Plzeň] kommen werde, weil wir Israelis keine Visa nach der ČSSR bekommen. Die Politik ist antisemitisch – die Nazis sagten jüdische Bolschewisten und bei den heutigen Kommunisten sind wir Juden zionistische Imperialisten. In so einer Atmosphäre kann ich mich als Israeli nicht wohl fühlen.“

Leskly an Scheurenberg 1984

Die antisemitische und antizionistische Stimmung in den 1950er Jahren rund um den Slánský-Prozess in der ČSSR hatte Auswirkungen auf das Leben der Wulkower. Sie wurden aus der kommunistischen Partei geworfen und verloren ihre Arbeitsstellen.

Selbstbezeichnung als Wulkower

In Briefen und Erzählungen betonen die Wulkower ihre starke Bindung zueinander und beschreiben sich als „Lagerkameraden“, als „Barackenfreunde“, „Wulkowaner“ und als „Wulkower in aller Welt.“ Wie ist es zu erklären, dass sich die ehemaligen Häftlinge als Wulkower bezeichnen? Was machte diesen Erfahrungsort so prägend, dass er für die Überlebenden namensgebend wurde?

Wulkow war ein relativ kleines Lager. Die Häftlinge kannten sich häufig untereinander und hatten gemeinsame Erlebnisse geteilt. Die Bedingungen in Wulkow waren verglichen mit anderen Lagern besser. Die meisten Häftlinge überlebten. Diese Aspekte ermöglichten überhaupt erst die Organisation der ehemaligen Häftlinge.

Die massiven Misshandlungen durch den Lagerkommandanten Franz Stuschka waren eine spezifische Gewalterfahrung in Wulkow. Der Großteil der Häftlinge erlebte direkte Gewalt durch ihn, und alle waren der Unberechenbarkeit seiner Handlungen ausgesetzt.

Die meisten Häftlinge waren jung. 59 Prozent waren unter 30 Jahre alt. Sie erlebten in Wulkow einen Teil ihres jungen Erwachsenenalters. Die Erinnerung an Wulkow ist also auch eine Erinnerung an die Jugend. Mit der Selbstbezeichnung Wulkower eigneten sich die ehemaligen Häftlinge dieses Wort an, welches für viele traumatische Erfahrungen steht. Sie machten aus einer Zwangsgemeinschaft von jüdischen Häftlingen eine selbstdefinierte Gemeinschaft.

Reportage „Gesucht wird … Franz Stuschka“, WDR 1985, Regie: Paul Karalus
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