Herbert Kolb (1922-2016)
Ein Nürnberger in Wulkow
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Herbert Kolb wurde am 27. Februar 1922 in Nürnberg als das erste der zwei Kinder von Reta und Bernhard Kolb, des späteren Geschäftsführers der Jüdischen Gemeinde in Nürnberg, geboren. In Nürnberg besuchte er die Volksschule und bis zum erzwungenen Austritt der letzten jüdischen Schüler:innen 1935 das Reformrealgymnasium. Nach der Handelsschule und einer kaufmännischen Lehre ging er im August 1938 zur weiteren Ausbildung nach Berlin auf eine private Berufsfachschule für Mode, Grafik und Dekoration und eine jüdische Kunstschule. Zur Vorbereitung der Auswanderung belegte er dort auch Kurse für Tischlerei. Als den Jüdinnen:Juden die letzten Möglichkeiten zur beruflichen Qualifikation genommen wurden, kehrte er im April 1941 nach Nürnberg zurück und leistete in einer Buchbinderei Zwangsarbeit.
Nachdem ihre Bemühungen um eine Ausreise gescheitert waren, wurde die ganze Familie am 18. Juni 1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. In Erwartung schlimmer Lebensbedingungen trug Herbert bei der Ankunft sieben Hemden übereinander. Im Ghetto versuchte er, in die Grafik-Abteilung der jüdischen Selbstverwaltung aufgenommen zu werden. Herbert arbeitete schließlich als Tischler und bekam im August 1944 den Befehl, sich in einen Transport nach „Zossen“ einzureihen. Mit diesem Ortsnamen verschleierten die Nazis den tatsächlichen Bestimmungsort: Wulkow.
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In seinem Transport befanden sich 40 Personen, darunter 17 Frauen. Auch in Wulkow arbeitete Herbert als Tischler. Ihm zufolge mussten sie etwa einhundert Gebäude errichten, darunter zahlreiche vorfabrizierte Baracken. Als Schutz gegen die Kälte zog Herbert Socken über die Hände. Arbeitshandschuhe gab es nicht. Am 31. Januar 1945 arbeitete Herbert Kolb wie die Tage zuvor auf der sogenannten Z-Baustelle – hier wurde eine Nachrichtenbaracke für die NSDAP-Parteikanzlei errichtet –, als er Explosionen hörte. Die Front rückte näher:
„Von einer kleinen Anhöhe blickte ich zufällig zurück […]. Man konnte die Straße von diesem einen Fleck im Wald aus gerade noch sehen. Normalerweise war auf ihr nicht viel Verkehr. Aber an diesem Abend, als ich zufällig in diese Richtung schaute, bemerkte ich, dass die Straße mit allen Arten von Fahrzeugen verstopft war. Ich sah Pferdekutschen, Autos, Lastwagen und viele Menschen zu Fuß, mit Fahrrädern, mit Schubkarren und anderen Fahrzeugen.“
Herbert Kolb, 2008
Die deutsche Bevölkerung floh vor der herannahenden Roten Armee. Herbert und die anderen Wulkower:innen überlegten, sich in dieser Situation zu bewaffnen, da sie fürchteten, die SS könnte im Lager ein Massaker begehen. In der Nacht vom 2. auf den 3. Februar 1945 wurde das Lager „evakuiert“, und sie mussten zu Fuß zur Bahnstation Trebnitz laufen. Dort begann eine Odyssee quer durch Deutschland und das besetzte “Reichsprotektorat“. Aufgrund der fehlenden Versorgung während der achttägigen Bahnfahrt wurden viele Häftlinge schwer krank. Herbert konnte einem jungen Mithäftling, der an schlimmen Magen-Darm-Krämpfen litt, mit einem Würfel Suppenbrühe helfen, den ihm seine Mutter noch in Theresienstadt mitgegeben hatte.
Zurück in Theresienstadt befanden sich die Wulkower:innen zunächst in Quarantäne. Im Ghetto sah er seine Eltern wieder. Seine Schwester und sein Schwager waren jedoch nach Auschwitz deportiert worden. Herbert arbeitete auch in den letzten Monaten im Ghetto als Tischler und musste im April für zehn Tage auf einen weiteren Außenarbeitseinsatz nach Regen bei Deggendorf gehen. Die Befreiung rückte näher, doch zunächst kamen mit den Evakuierungstransporten aus weiter östlich gelegenen Lagern halbverhungerte und schwer traumatisierte Häftlinge ins Ghetto, die sich bei den Ausgabestellen auf das Essen stürzten. Herbert und seine Mitgefangenen bildeten Menschenketten, damit das wenige Essen regulär verteilt werden konnte. Gegen etwas anderes waren sie machtlos: Die ausgemergelten Häftlinge brachten eine Typhusepidemie ins Lager. Nach der Befreiung des Ghettos am 8. Mai konnten die Überlebenden deshalb das Lager nicht sofort verlassen. Hinzu kam die Schwierigkeit, ein Transportmittel zu finden.
„Nachdem ich am 12. Juni Theresienstadt verlassen habe, bin ich über Karlsbad Eger teils per Rad, teils per Zug und den letzten Rest mit Auto nach Nürnberg gefahren. Ich bin nach einem achttägigen Aufenthalt in Eger am 20.6. angekommen. Nach einer 11-tägigen Verhandlung mit der Militärregierung wurden mir 3 amerikanische Autos zur Verfügung gestellt, um die ehemaligen Nürnberger von Theresienstadt abzuholen. Am 1. Juli war ich wieder in Theresienstadt. Und am 2. fuhren wir wieder nach Nürnberg.“
Herbert Kolb in einem Brief an seinen ehemaligen Lagerkameraden Pavel Weis, 3. Juli 1946
Kurz darauf machte sich Herbert Kolb auf die Suche nach seiner Schwester. Er nahm sich vor, mit dem Fahrrad die Hunderte Kilometer von Nürnberg in Richtung Belsen in der Lüneburger Heide zu fahren. Nach vier Tagen Fahrt bekam er die traurige Nachricht, dass seine Schwester zwei Tage nach Entbindung ihres Kindes im Lager Belsen verstorben war. In Nürnberg wollten Herbert und seine Eltern nach allem, was sie erlebt hatten, nicht bleiben. Auch die Erfahrungen in Wulkow ließen ihm keine Ruhe, insbesondere die Misshandlungen durch seinen Mitgefangenen, den Kapo Paul Raphaelson.
„Nun kommt für Dich der interessanteste Teil meines heutigen Briefes. Mitte September habe ich erfahren, dass unser so viel geliebter ‚Rafaelsohn‘ in irgend einem kleinen Ort im Rheinland Leiter der Betreuungsstelle für KZ-Häftlinge geworden ist. Du kannst Dir vorstellen, dass ich noch an dem gleichen Tag an die dortige Militärpolizeistelle schrieb.“
Herbert Kolb in einen Brief an seinen ehemaligen Lagerkameraden Pavel Weis, 3. Juli 1946
Paul Raphaelson wurde in der Folge festgenommen und an die Tschechoslowakei ausgeliefert, wo er 1947 zum Tode verurteilt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kolbs bereits in die USA emigriert. Dort arbeitete Herbert wieder als Tischler und später als erfolgreicher Werbedesigner. Privat betätigte er sich künstlerisch als Maler, Zeichner sowie Kalligraf. 1950 heiratete er die Shoah-Überlebende Laure Wildmann aus Philippsburg in Baden. Sie hatten eine Tochter und zwei Söhne sowie zahlreiche Enkel.
Neben der Erforschung der jüdischen Gemeinde Nürnbergs trug Herbert Kolb auch ein umfangreiches Wissen zu Wulkow zusammen und war eine zentrale Figur in der Vernetzung der Wulkower Überlebenden. Mit seinen vielen Zeichnungen und Skizzen aus dem Wulkower Lager trug er ganz wesentlich zur Erinnerungsarbeit der Wulkower bei.
Herbert Kolb starb 2016.