Was war Wulkow?

Wulkow war und ist eine kleine Gemeinde am Rande des Oderbruchs. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs war es mit dieser Ruhe vorbei. In den Wäldern am Ortsrand, geschützt vor den Aufklärern und Bombern der Alliierten, entstand eine Ausweichdienststelle für das Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Errichtet wurde sie von als Jüdinnen:Juden verfolgten Menschen, die eigens aus dem hunderte Kilometer entfernten Ghetto Theresienstadt hierher verschleppt wurden.

Baustelle, Zwangslager, Täterort – was war Wulkow?

1944 war die deutsche Wehrmacht an allen Fronten auf dem Rückzug. Die Endphase des Zweiten Weltkriegs und damit auch der nationalsozialistischen Herrschaft hatte begonnen. Berlin wurde bereits seit dem Vorjahr regelmäßig und massiv bombardiert. Der Terror des NS-Regimes, maßgeblich gesteuert vom RSHA in Berlin, nahm immer weiter zu: Massendeportationen aus Ungarn, die brutale Niederschlagung des Warschauer Aufstands, die Ausweitung des KZ-Systems.

In dieser Situation beschloss die Führung des RSHA mit ihrer bekanntesten Abteilung, der Geheimen Staatspolizei, die Dienststellen in bombensichere Regionen zu verlagern. Der Chef der Gestapo, Heinrich Müller, erteilte Adolf Eichmann den Befehl, in Wulkow eine zweite Dienststelle zu errichten. Wulkow war wegen der abgeschiedenen Lage sowie einem anliegenden Nachrichtenkabel und einer Verstärkerstelle der Reichspost besonders geeignet. Auch die NSDAP-Parteikanzlei ließ in Wulkow deshalb eine Ausweichdienststelle bauen.

„Ich sah mir die Gegend an und entwarf dann ein Schreiben an den Befehlshaber der Sipo und des SD im Protektorat Böhmen und Mähren, Dr. Weinmann; darin bat ich, dem Amt IV leihweise etwa anderthalb Dutzend Baracken zu überlassen, die in Theresienstadt überzählig waren, und sie zusammen mit einer Gruppe jüdischer Handwerker und jüdischer Baumeister bereitzuhalten. Gruppenführer Müller unterschrieb diesen Brief, einige Zeit danach fuhr ich nach Theresienstadt.“

Adolf Eichmann in den 1950er Jahren

Wie überall im deutschen Machtbereich wurden auch für die Errichtung dieses Nazi-Verstecks Menschen zur Arbeit gezwungen. In kräftezehrender Arbeit errichteten sie etwa 30 Baracken. Im Sommer 1944 nahm ein Teil der Dienststelle seine Arbeit auf.

Bauplan der Waffen-SS- und Polizei-Unterkunfts-Baracke, November 1943
  • © Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Arbeitseinsatz Barackenbau

„Das Lager Wulkow wurde offiziell als Barackenbau bezeichnet und es wurden ja auch Baracken gebaut, ich war aber der Meinung, mich in einem KZ zu befinden.“

Kurt Weigl, Zeugenaussage Volksgericht Wien, 15. Dezember 1949

Im Frühjahr 1944 stellte die SS im Ghetto Theresienstadt ein Außenarbeitskommando, genannt „Barackenbau“, zusammen. Am Morgen des 2. März 1944 hatten die dafür ausgewählten Menschen sich am Ghetto-Bahnhof einzufinden und trauten ihren Augen kaum: ein Personenzug. War das eine Täuschung und nur ein weiterer „Transport“ in die Vernichtung? Erleichtert registrierten sie die Fahrtrichtung Berlin. Am an der „Ostbahn“ gelegenen Bahnhof Trebnitz mussten sie den Zug verlassen und den restlichen Weg zu Fuß gehen.

Lagerskizze Wulkow des Häftlings Jindrich Wurm, 1944/45
  • © Beit Terezín, Israel

Die erste Nacht verbrachten sie unter freiem Himmel. In den kommenden Wochen und Monaten errichteten sie zahlreiche Baracken und mussten zweimal mit dem Häftlingslager umziehen. Fast 400 Menschen wurden insgesamt nach Wulkow verschleppt. Sie kamen aus dem deutsch besetzten Teil der Tschechoslowakei, aus Österreich und dem „Altreich“. Knapp zehn Prozent waren Frauen. Viele der männlichen Häftlinge hatten bereits im Ghetto als Handwerker gearbeitet.

Die Auflösung des Lagers

Ende Januar 1945 war das Grollen der Front auch in Wulkow wahrnehmbar. Der gefürchtete Lagerkommandant Franz Stuschka, ein enger Mitarbeiter Eichmanns, ließ das Lager „evakuieren“. Die Wachmannschaften, "Volksdeutsche" aus Rumänien, führten die verbliebenen 215 Wulkower Häftlinge in der Nacht zum 3. Februar zum Bahnhof Trebnitz und zu einem dort wartenden Zug. Kurze Zeit nach Abfahrt gerieten sie in einem Vorort von Berlin in den schweren Luftangriff vom 3. Februar 1945. Wie durch ein Wunder überlebten sie alle die achttägige Rückfahrt ins Ghetto Theresienstadt. Einige von ihnen wurden später erneut zum Bau einer Ausweichdienststelle, diesmal bei Hof/Bayern, ausgewählt.