Karel Rutar (1917-1966)
Der Vorarbeiter
- © Centropa
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Karel Rutar war in Wulkow Vorarbeiter der Zimmerleute. Wir kennen ihn aus dem sehr persönlichen schriftlichen Austausch mit seiner jungen Ehefrau Hana während der Lagerzeit. Viele der Briefe, Karten und Handzettel blieben erhalten und wurden dem Jüdischen Museum Prag übergeben. Korrespondiert wurde auf Deutsch, geschrieben oft nur mit Bleistift. Und es gibt ein ins Englische übertragenes Centropa-Interview mit seiner zweiten Ehefrau Ludmila vom Februar 2007.
Am 4. April 1917 in Prag geboren, war Karel Rutar einer der jüngeren Häftlinge im Lager. Über sein Leben vor der Zeit in Theresienstadt ist nichts bekannt. Er war schon mit Hana (Hanka) verheiratet, als die beiden am 4. Dezember 1941 ins Ghetto Theresienstadt kamen. Viele Paare heirateten vor der Deportation, um zusammenbleiben zu können. Sie lebten in der Hauptstraße 1/41. Anfang April 1942 traf Ludmila zufällig auf das junge Paar, das gerade zu Besuch bei ihrer Mitbewohnerin war. Karel verrichtete Zimmermannstätigkeiten, war im Frühjahr 1943 auch schon beim Barackenbau eingesetzt, ab 21. August dann im „Bauschowitzer Kessel“. Seine Erfahrung war wohl der Grund, ihn in Wulkow zum Vorarbeiter der Zimmerleute zu machen. Hanka arbeitete wie Ludmila in der „Landwirtschaft“. Daher kannten sich die Frauen flüchtig. Nachdem Karel nach Wulkow gegangen war, verlor Ludmila ihn aus den Augen.
- © United States Holocaust Memorial Museum Collection. From the Centropa Archive
Aus Wulkow schrieb Karel Rutar, so oft es ging, an seine Hanka. Die Briefe und Karten geben Auskunft über Karels Leben und Arbeiten im Barackenbau. Besorgt nahm er stets Anteil an Hankas Leben in Theresienstadt. Auch kurze Nachrichten und Grüße von Hanka, von der Familie, früheren Kollegen und Freunden aus Theresienstadt erreichten ihn regelmäßig. Nicht selten ging es um Karels Ausstattung und Arbeitsmaterial in Wulkow – die Rede ist von Arbeitsanzügen oder sogar einer Feile zum Schärfen der Sägeblätter! Manche Klage der Theresienstädter:innen ist zu lesen über ausbleibende Post aus Wulkow. Der Schriftwechsel war streng reglementiert.
Als Vorarbeiter hatte Karel wohl einige wenige Privilegien – so durfte er beispielsweise längere Briefe schreiben. Einigen fügte er Skizzen von Leo Haas bei. Stellenweise lesen sich seine Schilderungen der Lagerumstände übertrieben optimistisch. Denn andererseits musste Karel unter der Willkür des Lagerkommandanten Franz Stuschka für „Vergehen“ seiner „Untergebenen“ büßen. Ludmila berichtete von einer brutalen Bestrafung: Stuschka ließ ihn nachts und im Winter nackt im Freien stehen und übergoss ihn mit kaltem Wasser. Infolge einer derben Ohrfeige verlor Karel das Gehör auf dem linken Ohr.
Nach dem Krieg lebte Karel Rutar wieder in Prag. Die erste Ehe der jungen Rutars hielt nicht, sie wurde Anfang 1946 geschieden. Karel fiel die Trennung von Hanka sehr schwer. Er sorgte für eine Mitgift und stattete sie sogar als Braut aus.
Im selben Jahr begegneten sich Karel und Ludmila erneut, lernten sich näher kennen und heirateten bald. Sie zogen zusammen in seine Wohnung in Vršovice. 1947 wurde die Tochter Iva, 1949 der Sohn Josef geboren. Karel arbeitete zunächst für den Milch- und Fett-Verband, später dem Ministerium für Lebensmittelindustrie zugeordnet, und dann als Angestellter für die Schokoladenmarke Orionka.
Am 13. Mai 1966 starb Karel Rutar in Prag im Alter von gerade 49 Jahren an Leukämie. Ludmila zog die Kinder allein auf. Nach Auswanderung ihres Bruders 1968 in die USA hatte sie in der sozialistischen ČSSR unter beruflichen Repressalien zu leiden.
- © United States Holocaust Memorial Museum Collection. From the Centropa Archive
Vom 5. April, einen Tag nach seinem 27. Geburtstag, bis zum 10. April 1944 schrieb Karel mit Füllfederhalter einen fünfseitigen Brief:
„Meine liebste Hanka! Deine alle Briefe und bloß 8 Karten habe ich dankend erhalten. Ich hatte große Freude gehabt. Hauptsache, dass meine Hanka gesund ist und hat alles, was sie braucht. Jetzt regnet gerade. Ich habe 2 Stunden frei. Jetzt bin ich gewaschen, auf Rasieren muss ich verzichten, wenn ich Dir schreiben will. Es genügt aber einmal in der Woche mich zu rasieren. So eine Ruhe muss ich ausnützen.“ ... „Essen ist sehr gut. Jeden Abend ist etwas aus Pastete oder eine ganze Pastete. Heute z. B. zu Mittag Graupen mit Pastete (Haschee). Abends ½ Pastete und Suppe.“ ... „Gestrigen Geburtstag habe ich sehr schlecht verbracht. Nichts ging vom Fleck und habe mich mit Leuten sehr geärgert. Zu dem morgigen Tage wünsche ich Dir, meine Frau, das Allerbeste, dass Du mit Deinem Mann zufrieden bist, dass er bald zu Dir kommt und dann Dich nie verlassen wird. Und ich wünsche mir von Dir dasselbe, dass Du immer eine brave und folgsame und mich immer liebende Gattin bist.“
Brief von Hanka an Karel Rutar, 7. April 1944:
„Mein liebster Kajušku! Wieder haben wir die Gelegenheit euch zu schreiben, aber schon 14 Tage haben wir keine Nachricht von euch, worüber ich mir große Sorgen mache. Hoffentlich kommt aber inzwischen Post. Zlotiško, bist Du gesund? Hast Du genug zu Essen? Bitte schreibe mir die Wahrheit, Du weißt, daß ich Dir, was Du brauchst, sehr gern schicken würde. Auch wenn Du Wäsche, Schuhe, Strümpfe, oder überhaupt etwas brauchst, bitte mir es sofort zu schreiben, denn ich kann es Dir dann auch schicken. Aber Du müßtest mir alles genau aufschreiben, was Du brauchst. Verspreche es mir, Zlato, daß Du mir drum schreiben wirst. Jetzt war ich grade baden und Frau Feigl ist jetzt hier. Um ½ 7 h. gehe ich mit dem [Franta Smolka] zu „Zauberflöte“. Ich habe gehofft, daß Du schon mit mir gehen wirst, aber hoffe, daß es auch nicht mehr lange dauert und mein Liebling wird bei mir sein.“