Der NS-Apparat in Wulkow

Berlin war als Reichshauptstadt und Machtzentrum ein wichtiges Ziel alliierter Bombardierungen. Bereits während der Kriegsvorbereitungen hatte das NS-Regime über bombensichere Ausweichquartiere nachgedacht. Angesichts der verstärkten Bombardierungen ab 1943 entschied die Führung des Reichssicherheitshauptamts, in den Wäldern bei Wulkow eine große Ausweichdienststelle errichten zu lassen – mit geplant 1000 Mitarbeiter:innen die größte des RSHA.

Ausweichunterkunft "Dachs"

Angesichts der verstärkten alliierten Bombardierungen Berlins ab 1943 entschied die Führung des Reichssicherheitshauptamts, in den Wäldern bei Wulkow eine große Ausweichdienststelle  errichten zu lassen. Nachdem seit März 1944 die Bauarbeiten in vollem Gang waren, bezogen die ersten RSHA-Mitarbeiter:innen im Sommer ihre Büros in der Ausweichdienststelle (Tarnname: Dachs), während an anderer Stelle noch weitergebaut wurde. Nach Wulkow verlagert wurden neben den Fachabteilungen Opposition, Sabotage und Spionageabwehr auch zahlreiche Länderreferate der Gestapo, wie zum Beispiel das „Polenreferat“.

Unbehelligt von Luftangriffen und mit der Zentrale in Berlin durch ein Nachrichtenkabel verbunden, konnten sie in Wulkow ihren verbrecherischen Aufgaben nachgehen. Die Mitarbeiter:innen dieses Referates waren unter anderem für die rassistisch unterdrückten polnischen Zwangsarbeiter:innen im Reich zuständig. Sie ließen jene bei geringen Vergehen in Konzentrationslager einweisen. Auch für Tötungen, verschleiernd genannt "Sonderbehandlung", von Polinnen:Polen waren sie verantwortlich.

„Den Juden ist lediglich bekannt, dass sie für die SS bauen. Die tatsächlichen Namen der Bauherren, bzw. der Zweck der Bauvorhaben darf in ihrer Gegenwart nicht erwähnt werden (Vorsicht bei Ferngesprächen!)“

Aus der Vorschrift für die SS-Wachmannschaften, 1944

Ab August 1944 mussten die jüdischen Zwangsarbeiter:innen auf einer neuen Baustelle arbeiten: Für die NSDAP-Parteikanzlei wurde eine Nachrichtenbaracke mit dem Tarnnamen „Bärau“ errichtet. Der Leiter der NSDAP-Parteikanzlei Martin Bormann war als engster Vertrauter und faktischer Stellvertreter Hitlers an allen wichtigen Entscheidungen des NS-Regimes beteiligt.

„Außer der Administrative wurden in bestimmten Baracken auch verschiedenste Geheimdokumente aufbewahrt. […] Belege, Photodokumente, Waffen und Sprengstoffe, die die deutsche Polizei [u.a.] den Widerstandsgruppen beschlagnahmt hatten. Hier befand sich auch das Archiv der Dokumente über den Anschlag auf Hitler.“

Ehemalige Wulkower Häftlinge, 1995

„Ich bekam von Gruppenführer Müller den Befehl, mich in Trebnitz bei Berlin am 28. Januar 1945 zu melden. Dorthin wurde eine bestimmte Zahl von Unterabteilungen des Sachgebietes IV evakuiert. Dieses Lager bestand aus Baracken und hatte den Decknamen Dachs. […] Mein Auftrag war, Dokumente über den slowakischen Aufstand zu sichten und den Sachkennern Rat zu geben, zu helfen und sie zu informieren.“

Aussage des SS-Manns Dieter Wisliceny 1945 in Nürnberg

Merkblatt für den Umzug in die Ausweichunterkunft „Dachs“
Bundesarchiv Berlin
Merkblatt für den Umzug in die Ausweichunterkunft „Dachs“
Bundesarchiv Berlin
Verlagerungen von SS-Dienststellen in der Region

Die massiven Luftangriffe auf Hamburg im Sommer 1943 machten einen großen Eindruck auf die NS-Machthaber. So befahl Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler am 31. Juli 1943 den „Abtransport sämtlicher Kartotheken und wichtigen Unterlagen aus Berlin in sichere Unterkünfte.“ Außerdem plante die SS die Verlagerung von ganzen Dienststellen. In den Rauener Bergen zwischen Fürstenwalde und Bad Saarow mussten KZ-Häftlinge eine unterirdische Nachrichtenzentrale für das SS-Führungshauptamt (Tarnname: Fuchsbau) bauen. In der Umgebung entstanden weitere Dienststellen und Wohnsiedlungen für SS-Männer und ihre Familien. Der zu diesem Zweck gegründeten SS-Zentralbauleitung in Bad Saarow unterstanden KZ-Außenlager in Bad Saarow, Storkow, Spreenhagen, Kolpin und im etwas weiter entfernt gelegenen Trebnitz – die Häftlinge dieses Lagers mussten höchstwahrscheinlich auch auf der Wulkower Baustelle arbeiten. Die Verlagerungsprojekte in der Fürstenwalder Region für die SS und in Wulkow für das Reichssicherheitshauptamt waren miteinander verbunden.

Dienstanweisung (Wachvorschrift) für das Wachkommando Wulkow, 9. Dezember 1944
  • © Bundesarchiv Berlin
Der Lagerkommandant und die Wachmannschaften

Adolf Eichmann, der Leiter des „Judenreferats“ der Gestapo, war nicht nur verantwortlich für die Planung des Ausweichlagers, sondern auch der erste Kommandant des Theresienstädter Arbeitskommandos. Nur kurze Zeit nachdem die ersten Häftlinge in Wulkow ankamen, übergab er den Befehl an seinen langjährigen Mitarbeiter Franz Stuschka. Dieser war bereits in den „Zentralstellen für Jüdische Auswanderung“ in Wien und Prag tätig gewesen. Er wird von nahezu allen Überlebenden als grausam und sadistisch beschrieben. Ihm unterstellt waren mindestens drei weitere Österreicher aus dem Eichmann-Referat, die sich zum Teil an den Misshandlungen der Häftlinge beteiligten. Die Wachmannschaften bestanden aus „Volksdeutschen“ aus Rumänien. So wurden in der NS-Sprache Angehörige der deutschen Minderheiten in Osteuropa bezeichnet. Die Bewachung auf der Baustelle für die NSDAP-Parteikanzlei („Z-Baustelle“) übernahm ein Kommando von Schutzpolizisten aus Frankfurt/Oder.

Der Lagerkommandant Stuschka, gezeichnet vom ehemaligen Häftling Eli Leskly, 1983
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