Deportationen und Fluchten

In der Zeit des Bestehens des Lagers wurden 334 Männer und 34 Frauen nach Wulkow gebracht. Am 10. Februar 1945 kehrten jedoch nur 215 Personen ins Ghetto Theresienstadt zurück. Wer vor Entkräftung nicht mehr arbeiten konnte, wurde vom Lagerkommandanten wieder ins Ghetto zurückgeschickt. Zahlreiche Häftlinge wurden von ihm strafweise in KZ oder Polizeigefängnisse deportiert. Einigen gelang es, aus Wulkow zu fliehen.

„Rückkehr unerwünscht“ – Deportationen aus Wulkow

Der Lagerkommandant Stuschka war nach dem Krieg vor dem Wiener Volksgericht unter anderem wegen Mordes angeklagt. Dabei ging es vor allem um den Fall Herbert Grätzer. Dieser war zu seiner Mutter nach Berlin geflohen, wurde von Stuschka persönlich dort aufgespürt und nach Wulkow zurückgebracht. Während des Verhörs in Stuschkas Baracke hörten mehrere Häftlinge übereinstimmend einen Schuss. Eine Gefangene, die den Raum im Anschluss betreten musste, berichtete von Blut auf dem Boden. Niemand der Zeugen vor Gericht hatte jedoch eine Leiche gesehen. Stuschka wurde vom Mordvorwurf freigesprochen. Dennoch war er für den Tod zahlreicher Wulkower Häftlinge zumindest mitverantwortlich: Er ließ erkrankte Häftlinge ins Ghetto Theresienstadt zurück deportieren, was angesichts der von dort organisierten Massendeportationen nach Auschwitz in der Regel einem Todesurteil gleichkam. Zudem ließ er Häftlinge in das KZ Sachsenhausen oder in das neben dem Ghetto Theresienstadt gelegene Gestapo-Gefängnis Kleine Festung bringen. Viele wurden dort ermordet.

„Am 18.1.1945 schickte [Stuschka] mich mit neun anderen in die Sammelstelle nach Berlin, sieben von uns fuhren weiter, was mit den drei Mithäftlingen geschah, weiß ich nicht. Wir sieben fuhren in die Kleine Festung Theresienstadt, woher ich nach Erkrankung an Typhus am 25.5.1945 allein zurückkehrte. Die sechs Mithäftlinge, die mit mir gefahren waren, wurden getötet. Ich selbst habe mich deswegen gerettet, weil ich mich freiwillig als Totengräber meldete.“

Mikuláš Deckner, ohne Jahr

„Am 13.11.44 schickte der Lagerleiter […] mich und ca. 20 weitere Gefangene […] als Straftransport der Geiseln wegen der Flucht zweier aus unserem Kommando mit der Bemerkung RU [Rückkehr unerwünscht] erst nach Berlin-Schulstraße, einige Tage später dann ins KZ Sachsenhausen.“

Jiří Vaníček, 1996

 

Von Wulkow nach Berlin und weiter

In der Schulstraße in Berlin-Wedding befand sich ab März 1944 das letzte Sammellager für Jüdinnen:Juden in Berlin. Es wurde in einem Teil des Jüdischen Krankenhauses eingerichtet. Diejenigen, die aus Wulkow strafweise weggebracht wurden, kamen zunächst dorthin. Dort trafen sie auf andere Gefangene, denen sie von den Misshandlungen in Wulkow berichteten. Einigen gelang es, sich mit Hilfe des ärztlichen Personals für oder als „transportunfähig“ erklären zu lassen. Sie erlebten die Befreiung in Berlin.

„Ich blieb schwer krank im Polizeikrankenhaus in Berlin. 6 Monate war ich dort, weil ich so unter den Folgen litt, dass ich heute noch nicht ganz hergestellt bin. Ich will hoffen, dass diese Bestie den verdienten Tod erhält, weil sie selbst Menschenleben auf dem Gewissen hat.“

Hildegard Kirmes, 1949

„Am 2. Dezember [1944] kam ich mit einem Transport Geiseln [...] nach Berlin und wurde als Schwerkranke auf die Polizeistation des jüdischen Krankenhauses gebracht. Wieder hat mich der Tod gestreift, aber doch wohl noch nicht gewollt, denn ich überstand sämtliche noch stattfindenden Transporte von der Polizeistation nach Ravensbrück und wurde am 22. April 1945 durch den Einmarsch der Russen endlich befreit.“

Käthe Rosenbaum, ohne Jahr

Männliche Wulkower Häftlinge wurden von Berlin ins KZ Sachsenhausen deportiert. Im dortigen Industriehof ermordete die SS im Frühjahr 1945 mindestens 2.000 Häftlinge. Dabei wurden auch Wulkower Häftlinge getötet. Einigen von ihnen gelang es hingegen, bei Ankunft im Lager als politische Häftlinge registriert zu werden. Von da an mit dem roten Winkel nicht mehr als Juden erkennbar, erhöhten sie ihre Überlebenschancen. Einer von ihnen war Albert Jungmann, der den Todesmarsch von Sachsenhausen nach Mecklenburg überlebte.

„Die Leute, die nach Sachsenhausen kamen, waren zur Liquidierung bestimmt. Mir sagte ein Däne im Lager, der selbst Häftling war, es sei ihm gelungen, meine Karteikarte und die eines gew. Hans Edel zu vernichten, so dass wir der Liquidierung entgingen. Fiala, den [Stuschka] wegen angeblicher Spionage nach Sachsenhausen geschickt hatte, und Prinz sind nicht mehr am Leben.“

Albert Jungmann, 1947

Ausschnitt eines Videointerviews mit Albert Youngman vom 22. April 1996 (Interview-Code: 12310. Visual History Archives)
  • © USC Shoah Foundation

 

Fluchten

Die meisten Wulkower Häftlinge befanden sich in Geiselhaft. Wenn sie flohen, waren ihre Angehörigen in Theresienstadt nicht mehr geschützt. Dennoch gab es neben der Flucht von Herbert Grätzer zahlreiche weitere. Die Flüchtenden kannten sich mutmaßlich in der Region aus und hatten keine Angehörigen in Theresienstadt. Unter ihnen war auch ein Freund der Berlinerin Margot Friedlander. Nach Rückkehr der Wulkower:innen ins Ghetto Theresienstadt im Februar 1945, in dem sie sich auch befand, traf sie ihren zukünftigen Mann Adolf Friedlander:

„‚Wo kommst du her?‘, fragte ich. ‚Aus Wulkow.‘ ‚Dann kennst du vielleicht einen Freund von mir. Alle nennen ihn Schnäpschen.‘ ‚Schnäpschen, ja, der war bei uns‘, sagte er. ‚Bis vor ein paar Wochen.‘ ‚Wo ist er jetzt?‘ Adolf zögerte. ‚Er soll geflohen sein. Zumindest hat er es versucht. Aber sie haben ihn erwischt.‘ Adolf wusste nicht, ob Schnäpschen erschossen worden war oder ob sie ihn in den Osten geschickt hatten. Hätte Schnäpschen nur ein paar Tage oder Wochen länger ausgehalten, er wäre mit all den anderen wieder zurück nach Theresienstadt gekommen. Er hätte überlebt.“

Margot Friedländer in ihrem Bericht: „Versuche, dein Leben zu machen.“ Als Jüdin versteckt in Berlin. S. 203f.