Vergessen und Erinnern nach 1945

Nach dem Rückbau der Baracken gerieten das Lager und die Ausweichdienststelle allmählich in Vergessenheit. Bis heute hat sich jedoch im Ort die irritierende Bezeichnung „Judenloch“ für die am Ortsrand gelegene Sandgrube (zweiter Lagerstandort) tradiert. Nach 1990 begann die Beschäftigung mit dem Außenlager. Impulse von Überlebenden sowie einige Schulprojekte führten dazu, dass die Geschichte des Außenlagers mit Hilfe von Gedenksteinen und -tafeln sichtbarer wurde.

Nichtbeachtung zu DDR-Zeiten und Auseinandersetzung in Wellen seit 1990

Eine Auseinandersetzung über das Außenlager Wulkow unter den Dorfbewohner:innen hat es zunächst nicht gegeben. Das Lager war nach dem kontinuierlichen Rückbau fast vollständig von der Bildfläche verschwunden, nur noch sehr wenige Überreste zeugten von seiner Existenz. Dennoch blieb das Lager im kollektiven Gedächtnis der Dorfbewohner:innen bis heute erhalten, wie sich am Wort „Judenloch“ für den zweiten Standort des Häftlingslagers zeigen lässt. Bei einem Friedensmarsch der Jung- und Thälmannpioniere im Mai 1985 von Kienitz nach Berlin wurde Wulkow zum Thema „Konzentrationslager“ nicht beachtet. Im nahegelegenen Hermersdorf steht seit Mai 1975 ein Gedenkstein zur Befreiung des Ortes und eines nicht näher erklärten „faschistischen KZ-Teillagers“. Hiermit ist vermutlich das weitgehend unbekannte Sachsenhausener Außenlager Nr. 4291 zwischen Wulkow und Hermersdorf gemeint, dessen Häftlinge ebenfalls auf der Baustelle der Ausweichdienststelle arbeiten mussten.

Die Gedenktafel in Erinnerung an die Wulkower Häftlinge am alten Schulhaus in Hermersdorf, errichtet 1995, restauriert 2022
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Um 1995 rückte das Außenlager Wulkow in den Fokus der Öffentlichkeit. Bereits im Frühjahr 1994 hatte Prof. Dr. Alexander von Brünneck von der Universität Viadrina Frankfurt (Oder) ein erstes Interview mit dem Zeitzeugen Rudolf Kestin (Jahrgang 1931) aus Wulkow zu seinen Lebenserinnerungen geführt. Anfang 1995 nahm die RAA e. V. Strausberg im Rahmen eines Gedenkprojekts Kontakt zu ehemaligen Wulkower Häftlingen in Tschechien und Schweden auf. Im Februar 1995 trafen Strausberger Schüler:innen den Überlebenden Jan Jecha in der Gedenkstätte Terezín und im Mai in Wulkow. Im November desselben Jahres kamen mehrere ehemalige Wulkower Häftlinge nach Wulkow. In diesem Zusammenhang wurden die Gedenktafel am Schullandheim Hermersdorf und die beiden Gedenksteine eingeweiht. Außerdem fanden Begegnungen zwischen Jugendlichen, der interessierten lokalen Bevölkerung und den ehemaligen Wulkower Häftlingen statt.

Im Rahmen eines Schulprojektes der Gesamtschule Neuhardenberg fand 1999 eine erneute, intensivere Beschäftigung mit Wulkow statt. Die Schüler:innen interviewten den Überlebenden Walter Grunwald aus Schweden und erstellten daraus einen Film. Im selben Jahr beschäftigten sich Schüler:innen aus Strausberg auf Anregung des Überlebenden Jan Jecha ebenfalls mehrere Wochen lang mit dem Wulkower Außenlager. Das Ergebnis dieses Projektes war das Gedenkbuch „Von der Nummer zum Namen zurück“. 2009 wurde im Rahmen der außerschulischen Jugendgeschichtsarbeit – Programm „Zeitensprünge“ – der Zeitzeuge Rudolf Kestin aus Wulkow interviewt. Im Schuljahr 2015/2016 schrieb eine Schülerin des Gymnasiums Seelow, die in Wulkow lebte, eine Facharbeit zum Thema „Das Leben der jüdischen Häftlinge im Außenlager Wulkow unter besonderer Berücksichtigung der Lebensumstände“ und befragte damals noch lebende Dorfbewohner:innen.

An all diese Auseinandersetzungen konnte der Arbeitskreis Wulkow 2021 anknüpfen.

Besuch von Jan Jecha mit Schüler:innen auf dem ehemaligen Lagergelände Wulkow 1995
  • © RAA e. V.
Der letzte Wulkow - ND Der Tag 11.10.2021
Martin Kröger
Schüler:innen aus Neuhardenberg im Interview mit dem ehemaligen Wulkower Häftling Walter Grunwald 1999
  • © Jutta Grunwald & WDR

Jugendliche befragen den Zeitzeugen Rudolf Kestin, 2010
Jugendliche befragen den Zeitzeugen Rudolf Kestin, 2010
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